Mittwoch, 21. August 2013
Sie nannten mich Blümchen, vermutlich weil ich die Jüngste war. Zu meinem 16. Geburtstag kamen sie in der Mittagspause auf den Schulhof und schenkten Blümchen zwei kleine Topfpflänzchen. Wir trugen gebrauchte Lederjacken und hingen am Wochenende meist im Prenzlauer Berg oder in Mitte rum, obwohl wir eigentlich aus Marzahn kamen, was uns aber niemand ansah. Wenn wir mit der Straßenbahn in die Stadt fuhren, saßen wir auf dem Schoß unserer Liebsten, redeten laut, meist angetrunken und bekifft über Musik und Literatur. Im Café Westphal spielten wir Schach und in der Schönhauser Fünf beschlugen im Winter unsere Brillen. In der Schönhauser Fünf stand ein Trabbi in der zweiten Etage und es gab Ausschank und irre viele betrunkene Menschen. Laute Musik. Punk vermutlich. Vermutlich machten Suff und Kiff die langen Strecken erträglicher. Jeder von uns war schon einmal an der Endstation der Straßenbahn verwirrt aufgewacht, weil er eingeschlafen war. Ich begleitete die Band eine Zeit lang als Freundin des Keyboarders und in einem stillem Moment eines Sommers saß ich am Schlagzeug. Ob sich später so eventuelle Liebschaften ergeben hätten? Oder vielleicht nur eine durchwachte Nacht mit hängendem Kondom aus der Hose?

Ich weiß nicht, wenn ich an Marzahn denke, denke ich vor allem an den Kienberg. Ich würde dort Wanderungen und revolutionäre Konzerte veranstalten, wenn ich Jungrevolutionärin wäre. Meine Geschichten sind Vergangenheit und stapeln sich dann immer, wenn ich mal wieder dort war. Es ist viel. Meine Kindheit und meine Jugend.



Montag, 22. Juli 2013
Die flächendeckende Internetüberwachung verlangt von uns momentan Verschlüsselungskompetenzen und einen durchdachten Umgang mit unseren Daten. Was aber nicht passieren sollte, ist die Aufgabe unserer digitalen Räume, denn in ihnen gestalten wir unsere Normen und Werte. Diese Narrative erreichen unsere Mitmenschen und es entstehen so gesellschaftliche Debatten, die wir begleiten können. Das ist ein unwiederbringlicher Gewinn, den wir verteidigen müssen. Diese Narrative und Debatten können auftauchende propagandistische Ziele entlarven, so wie das derzeit der Fall ist.


Relative Relevanz

Betrachtet man das gesamte Leben als Erzählung, dann existiert bereits jetzt neben unserer eigenen Erzählung und z. B. der Erzählung unserer Mutter, ein Metadatenprofil, welches bei genauerer Betrachtung eben nur ein Erzählgerüst darstellt. Mitunter ist dieses Profil in einigen Punkten informierter als unsere Mutter und wir selbst. In anderen Punkten wiederum sind große weiße Flächen zu finden. Werden diese weißen Flächen anhand der vorhandenen Information von einer fremden normativen Kraft semantisiert, entsteht mitunter Blödsinn oder mit etwas Glück eine Erzählung, die sich geringfügig von unserer eigenen oder der unserer Mutter unterscheidet. Mit etwas Glück. Das ist genau die Kritik, auf die auch Kulturanthropologen immer wieder stoßen. Eine teilnehmende Beobachtung ist immer noch eine Beobachtung. Die Entwicklungen unserer Gesellschaft, für alles eine genaue EU - Vorschrift, das perfekte Medikament für eine Krankheit und den Masterplan für die Karriere parat zu haben, geraten an ihre Grenzen, wenn sie auf den Mensch treffen. Polnische Schlachtereien und Kroatische Käsereien funktionieren seit Jahrhunderten nach ihren eigenen Traditionen, Körper reagieren unterschiedlich auf chemische Präparate und Lebensläufe setzen sich aus unzähligen Konstituenten zusammen, dass eine Vorhersehbarkeit der Entwicklung eines Menschen ausschließlich der eigenen Mutter zugetraut werden darf. Unter Vorbehalt. Ein weiteres Problem ist das Anpassen an fremde normative Strukturen, was durchaus bewusst geschehen kann, aber zu großen Teilen unterbewusst geschieht, sich einschleicht. Christoph Kappes hat das die unsichere Zukunft genannt, die wir brauchen, um frei und selbstständig handeln zu können. Vertrauen kann sich nur dort entwickeln, wo die Zukunft unsicher ist, wo Menschen handeln und wo sie auch die Wahl haben, sich für unethisches Handeln zu entscheiden.


Normative Erwartungen

Unsere Gesellschaft ist von vielfältigen Kontrollmechanismen durchzogen, dass es fast schon absurd scheint, obendrauf noch eine Totalüberwachung zu platzieren. Wir sind eingebunden in mannigfache Strukturen, die uns von der Wiege bis zur Bahre begleiten. Schule, Ausbildung oder Studium und darauffolgend eine Erwerbstätigkeit sind dabei noch die sichtbaren Mechanismen in den westlichen Demokratien. Die weit weniger sichtbaren Kontrollinstanzen als die EU und die Bundesregierung sind keine Instanzen, sondern propagierte Werte und Normen. Deswegen müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wer die Normsetzer sind und welche Normen verinnerlicht werden sollen. Mit welchen Prämissen arbeiteten die Geheimdienste und unter welcher Voraussetzung landen wir unter Umständen auf dem Radar. Interessant fand ich dazu diesen Artikel aus dem Tagesspiegel, wo der Begriff Entitäten eingeführt wird. Entitäten sind gleichbedeutend mit Konzernen und staalichen Kontrollbehörden. Konformes Verhalten bedeutet nicht nur das Weglassen von Witzen über Terroranschläge, sondern funktioniert teilweise viel subtiler und der Begriff Entität könnte gut und gerne in Leif Randts Schimmernder Dunst über Coby County auftauchen. Coby County ist eine geglättete Welt, in der es keine Ausschläge nach oben oder nach unten gibt. Zwar brodelt es unter der Oberfläche, aber die Bewohner von Coby County sind qua ihrer Gleichförmigkeit nicht mehr dazu in der Lage, ihre unguten Gefühle und Gedanken als solche überhaupt zu erkennen und zu benennen.


Spionage ist keine soziale Kontrolle

Spionage hatte den ursprünglichen Sinn und Zweck der geheimen Informationsbeschaffung, um dem Konkurrenten ein paar Schritte voraus zu sein. Konkurrent umfasst hierbei nicht nur die klassische Konkurrenz im wirtschaftlichen Sinne, sondern auch den Kriegsgegner, den befreundeten Staat und neue aufkommende politische Bewegungen. Demnach ist Spionage keine gesellschaftlich akzeptierte soziale Kontrolle und sollte auch nicht als solche bezeichnet, noch behandelt werden, auch wenn die Spionage während des Kalten Krieges zuweilen ein Ausbalancieren der Kräfte herbeiführte. Die umfassende Sammlung sämtlicher Daten der Weltgesellschaft hat mit klassischer Spionagetätigkeit nichts mehr zu tun. Die unterschiedlichen Interessenten und Entitäten, die sich dieser Daten bedienen, verletzen unsere Privatsphäre und Grundrechte. Wenn unsere Werte auf Vertrauen und Wahlfreiheit basieren, dann müssen wir den Wächter aus dem Panoptikum entfernen. Das Panoptikum abzureißen oder zu verlassen, wäre der erste Schritt hin zu einer neuen Gesellschaftsordnung. Was im einzelnen realistischerweise zu tun wäre, kann man bei Guenter Hack nachlesen.
Neben der Foderung nach einem globalen Menschenrecht, welches ein Grundrecht auf Datenschutz und digitale Freiheit garantiert, sollten wir uns auch allmählich aus den digitalen Global Playern zurückziehen, bzw. nicht ausschließlich deren Plattformen und Suchmaschinen nutzen.



Mittwoch, 6. März 2013
Es gibt mehrere Aspekte, die mich an dem Interview mit Robert Pfaller in der FAZ gestört haben.

1
Da wäre zunächst die erste Frage, in der Brüderles Aussage als "plumpes Kompliment" deklariert wird, wobei dies eben nicht der Fall war, sondern es sich um eine Retourkutsche handelte, angesprochen auf sein Alter. Und da das Alter für einige Männer gleichbedeutend mit weniger Manneskraft ist, war dies eine Antwort, die ihm logisch erschien. Ungeachtet dessen bezieht sich Pfaller in der ersten Antwort auf Dominique Strauss-Kahn und die darauffolgenden Proteste, die seiner Ansicht nach, welche im übrigen unter Männern, egal wie sie politisch aufgestellt sind, eine populäre ist, geschickt für politische Zwecke eingesetzt wurden. Was im Fall von Dominique Strauss-Kahn tatsächlich passiert ist, wird wohl nicht mehr an die Öffentlichkeit dringen und die sachliche Erörterung seiner Schuld, die kaum zu Stande kam, ist tatsächlich einer überpräsenten Öffentlichkeit geschuldet. Die traurige Wahrheit ist doch aber auch, dass die Proteste zahlreicher Hotelangestellten plötzlich mit Verschwörungstheorien vermischt wurden. Politische Verschwörungskonstrukte, welche ebenso ein heiliges Faszinosum sämtlicher politischer Kultur darstellen. Die Zimmermädchen in ihrer großen Anzahl haben doch sicherlich nicht grundlos protestiert, sondern höchstwahrscheinlich aus schlimmen Erfahrungen heraus, welche eben mit Abhängigkeit, Gewalt und Ausbeutung zu tun haben. In solchen Momenten frage ich mich immer nach der sexuellen Anziehungskraft von Verschwörungstheorien. Und ich denke, Zimmermädchen möchten in der Regel freundlich behandelt, gut bezahlt und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Der Fall Dominique Strauss-Kahn kann jedoch nicht mit der Debatte um #Aufschrei verglichen werden.

2
In der zweiten Antwort bittet Robert Pfaller uns Frauen darum, den gespielten Sexismus und die gespielte Belästigung in der Öffentlichkeit doch auch als solche wahrzunehmen. Prinzip: Zu Hause ist er normal.
Dem gegenüber stehen aber die inzwischen, seit Jahrzehnten, aufgeweichten Sphären des Privaten und Öffentlichen. Das grobe Lustspiel, der Schlagabtausch unter Rollengesinnten hat sich auf SM-Parties verzogen und findet in Szenebars allenfalls noch subtil statt und dann auch nur wenn man sich vorher darauf geeinigt hat, möglicherweise auch auf den Kontrollverlust. Das Sexuelle ist nicht komplett aus der Öffentlichkeit verschwunden, aber die Spielregeln sind neu.

3
Die dritte Antwort widmet sich noch einmal dem Rollenspiel, wobei Herr Pfaller den Schwerpunkt auf eine halb untergegangene Rolle setzt – die Dame. Dabei liegt die Wahrheit, wie so oft, im Gegenüber. Bereits in den ersten Sekunden spüre ich, wie mein Gegenüber behandelt werden möchte. Beide Agierenden greifen dazu auf ihren Erfahrungsschatz zurück und achten darauf, wie weit der andere, die andere an diesem Abend, diesem Nachmittag körperbezogen sprechen möchte. Eine Frage, ob man in diesem Alter noch weiterhin eine Führungsrolle spielen möchte, ist grundsätzlich keine Aufforderung, seine Männlichkeit zu beweisen. So leid es mir tut. Aber das sind die Spielregeln.

4
Die Frage nach der Wehrhaftigkeit in der nächsten Antwort würde ich gar viel simpler beantworten. Unter Umständen hätte eine andere Frau mit einer Ohrfeige reagiert und der Stern hätte sich hinter die Dame gestellt, so wie er sich jetzt hinter die schriftliche und nachträgliche Ohrfeige gestellt hat. Unter Umständen.

5
Nun gibt es keine Benimmbücher mehr und ich wüsste daher auch nicht, wie sich die Rolle einer Dame komplett ausfüllen ließe, zumal in mir auch ein Punkmädchen, eine Hippiebraut, eine DDR-Frau, eine Studentin, eine Praktikantin, eine Assistentin, eine Kinderkrankenschwester, eine Radiojournalistin und zahlreiche andere Rollen und Rollenvorbilder wohnen. In der Rolle des Punkmädchens ließe sich eine Ohrfeige noch am besten mit meinem Über-Ich vereinen.

6
Natürlich beinhaltet die Rolle des Punkmädchens auch so kuriose Dinge, wie jemanden spontan zu küssen oder andere Dinge, die eine Dame niemals tun würde. Ich weiß nicht, was mit meinen Rollen los war, dass ich sehr, sehr häufig belästigt worden bin in meinem Leben, ob mal weniger naiv oder mehr. Trotzdem ist es passiert. Und Sie Herr Pfaller würden vermutlich jetzt sagen, wo kein Herr, da auch keine Dame. Ach, nein – würden Sie nicht. Das ist die Antwort, die mich sehr wütend gemacht hat. Das Gute ist, ich bin über den Ärger hinaus. Ich denke, mein inneres Punkmädchen hat mir da mehr geholfen, als meine innere Großmutter, die vieles einfach ausgehalten hat. Damen sprechen nicht darüber.

7
Die Frage der Selbstbehauptung in der siebenten Frage würde ich wieder unter das Vorzeichen des Aushandelns stellen. Da möchte ich auch nicht, dass mich die Polizei beschützt, das wäre meinem Selbstwertgefühl abträglich. Aber wenn ich jemanden bitte, die Tür bei einem Gespräch offen zu lassen – aus was für Gründen auch immer, so hätte jener dies zu respektieren.

8
Ihrer achten Antwort stimme ich zu, unter dem Vorbehalt des Aushandelns.

9
Mit Opernbällen und den 68ern kann ich wenig anfangen.

10
Ich froh darum, viele Rollenbilder in mir zu tragen, sie bei Bedarf anwenden zu können und manches Mal ist mir die Rolle der Dame sehr recht. Aber ich mag ihre Fallstricke nicht kennenlernen.

11
Zusammenfassend wäre noch zu sagen, dass ich es sehr unhöflich finde, dass die Gedanken streitbarer und kluger Frauen nicht weitergeführt worden sind, sondern stattdessen kurzerhand die Rechnung bezahlt und murmelnd im Gehen einwendet wurde, dass diese Frau gegen Mann und alt gegen jung Geschichten endlich aufhören sollen, man hätte jetzt wichtigeres zu tun.

Und ich, ich stehe gemeinsam mit den Zimmermädchen auf der Straße und halte Schilder hoch:

Ein wahrer Philosoph wäre doch dazu fähig, Anschlusspunkte zu finden, statt den Diskurs zu kappen und losgelöst davon weiterzureden, als wäre nichts passiert.

Die Ursprungsdebatte ist integrativer Bestandteil aller weiteren Debatten.

Man kann das Thema durchaus weiter besprechen, ohne sein ursprüngliches Anliegen kleinzureden.

Es ist doch gerade der Fall, dass durch #aufschrei Abhängigkeitsverhältnisse wieder diskutiert werden, was somit politisch ist.


Empört euch.



Donnerstag, 19. April 2012
Wir machen das hier doch nicht zum Spaß. Wir machen hier großes Theater, epochales Theater, ja monumentales Theater möcht´ich fast sagen. Hier geht es um Liebe, Schmerz und ganz wenig Hoffnung.

Kurt Krömer



"Warum gehen die Leute nicht mehr ins Theater?", fragte ich vor Jahren eine Freundin, als wir kurz vor dem Kinobesuch noch etwas essen waren und ich befürchtete schon, sie würde abwinken. Tat sie aber nicht. Sie überlegte etwas und holte dann zu einem längeren und klugen, ruhigen Monolog aus, wie es so ihre Art ist. Der Kern war uns beiden klar; die Leute gehen ins Theater, wenn sie die Antworten auf ihre Fragen nirgendwo anders finden können, bzw. eine Vorliebe für das Theater haben, vor allem in unruhigen Zeiten.

Im Gegensatz zu meiner Freundin, die nie großartig ins Theater gegangen ist, sonst auch wenig Ambitionen verspürte, sich dieser Branche irgendwie zu nähern, bin ich über Jugendtheatergruppen in Kombination mit meinem allerersten Berufswunsch: Tänzerin, auf die Bühne gestolpert und hielt mich dort auch ein paar Jährchen auf. Meine ersten professionellen Erfahrungen jedoch sammelte ich dann hinter der Bühne, in verschiedensten Formen von Assistenzen. Und ich kann mit ruhigem Gewissen behaupten, unglaublich viel gelernt zu haben. Ja, vor allem die Praxis und ja, man arbeitet hier häufig viel für wenig Geld.

Dessen ungeachtet reißt der Strom an Neubegeisterten und neuen Ideen, sowie Formen aber nicht ab; zumal die Abgrenzungen zu anderen Kunstrichtungen kaum noch auszumachen sind. Die Perfomance-Entwicklungen des letzten Jahrhunderts waren da nur der Anfang. Schnittstelle Internet oder wie wir vor zehn Jahren noch sagten: Die neuen Mädchen.

Theater dieser Tage als großes Samplingspektakel zu betrachten, halte ich nicht für falsch, die sinnliche Erfahrung von Raumtiefe und Interaktion zwischen Schauspieler und Publikum aber nach wie vor für erstrebenswert und unabdingbar. Dieser Ideenwettbewerb wird, so hoffe ich, auf der re:publica eine gute inspirierende
Sache werden. Man kann sich jetzt schon auf jovoto, wenn man sich angemeldet hat, die eingereichten Wettbewerbsbeiträge ansehen.



Donnerstag, 29. September 2011
Der Wiedereröffnung dieses Blogs ging ein Gedanke voraus, ein recht starker Gedanke aus dem 20. Jahrhundert - dem der Haltung. Hinzu kam dann später noch die Generationenfrage mit versteckter Anspielung auf die Zonenfrage, sowie der Feminismus. Die Kombination dieser vier Themen kulminierte für mich mit dem Besuch der Lesung von Alice Schwarzers Autobiographie, welche hier besprochen wurde und ich kann der Autorin vollumempfänglich zustimmen - mein Eindruck war ein ähnlicher. Wobei ich sehr froh war, dass in dieser recht intimen Situation, die ein Theaterraum in der Lage ist zu erzeugen, die laute, spitzzüngige und pointensichere Alice Schwarzer der Fernsehstudios nicht anwesend war, sondern eine gestandene Frau, die selbstbewusst und mit der Versiertheit einer guten Journalistin ihr Buch promotete, so dass es sehr angenehm war.

Ich bin weder mit Alice Schwarzer aufgewachsen, noch lag sie in den Betten meiner Eltern, aber ich konnte einen direkten Vergleich zu meiner Tante ziehen, die zwar etwas jünger ist, sich aber als Radiojournalistin Ende der 60er Jahre in der DDR auch ihren Weg bahnte. Und mir geht es nicht um ein typisches DDR - Frauenbild, sondern darum, wie man sich als Journalistin und Frau in der Berufswelt versuchte zu definieren, denn darum geht es auch zu großen Teilen in Alice Schwarzers Biographie. Die Kämpfe waren da durchaus sehr verschieden. Während meine Tante Probleme mit dem System bekam, konnte sich Alice Schwarzer ihrer Meinungsfreiheit sicher sein. Sicher insofern, dass sie keine staatlichen Repressionen fürchten musste, was aber natürlich nicht heißt - sie hätte es einfach gehabt. Alice Schwarzer näherte sich Alice Schwarzer an und sie erzählte und las von den Hasstiraden, die ihr teilweise entgegen geschlagen sind, von den Bemühungen, eine starke Persönlichkeit zu werden, engagiert und nicht zimperlich. Irgendwann kam ich an den Punkt, wo mir etwas missfiel - ich kann nicht genau sagen, was es war, ob es ihre thematische Fixiertheit auf bestimmte Punkte war, die ich als lächerlich empfand, während sie andere Themen großzügig wegwitzelte, die ich besprechungswürdig gefunden hätte oder ihre merkwürdige Naivität, die manchmal durchschimmerte. Eine Kombination aus allem, vermutlich.

Es ist immer so ein wenig mit den lauten Stimmen, dass diese häufig Glück gehabt hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, um mit einer plötzlich interessanten anderen Haltung, bestimmter Kleidungswahl und professioneller Kommunikation einer Bewegung eine Stimme zu verleihen und zudem häufig auch von der Bewegung selbst stark kritisiert werden, sei es aus Gründen des nicht Gönnen Könnens oder aus inhaltlichen Gründen. Aber die Bewegung selbst sind sie nicht und jede einzelne weibliche Biographie ihrer Generation wird ihr sagen können: Alice, ich bin nicht wie du, aber du hast mich geprägt. Ob nun indirekt oder direkt.



Sonntag, 28. August 2011
¶ Replik
In den letzten Tagen brodelte es im Medienwald, eine FAZ - Journalistin wollte die schwäbische Hausfrau in Berlin etablieren, die TAZ griff dann in die Berliner Mentalitätsklischeekiste, um den Berlinerklärbär zu geben und der Tagesspiegel geht so gar noch einen Schritt weiter und summt ein Hohelied auf den derzeit heftig angespannten Wohnungsmarkt in Berlin. Alter Schwede. Es ist Wahlkampfzeit und es wird aller Orten um Deutungshoheit gerungen und über Gentrifizierung kann inzwischen auch die gut informierte Oma Paschulke mitreden, manchmal braucht es nur einen provokanten Text, mit einer süßlichen Note von Naivität garniert.

Und liebe Journalisten und Pop - Phänomen - Erschaffer da draußen, wir, die wir im Internet leben, sind euch immer um einiges voraus. Kulturschaffende oder auch Journalisten, die heutzutage noch das Internet links liegen lassen, haben den Knall nicht gehört.

Die hochgeschätzte Madame Modeste hat nun eine Fürsprecherin bekommen, eine ebenfalls gut verdienende und leistungsbereite junge Frau, welche aber im Unterschied zu Madame Modeste im Osten von Berlin aufgewachsen ist, wie sie selbst im Artikel erzählt. Und liebe Leser und Leserinnen, die sie sich hierher verirrt haben, sie lesen den Text einer jungen Frau, die das Grauen gesehen hat, die quasi ihre gebündelten Ängste darstellt und ich kann sie ihnen nicht einmal nehmen. Denn ich bin Marzahn aufgewachsen und es ist mit die assozialste Wohnform, die sich Menschen erdacht haben und da helfen nicht einmal selbst konstruiert gedachte schwäbische Hausfrauen in einem Plattenbau, die die Kehrwoche einführen oder ein Wiederaufleben von kollektivistischen sozialistischen Vorgartenpflegeprojekten.

Der geballte Plattenbauraum ist nicht nur unschön und unästhetisch, er garantiert auch ein Auseinandergeraten von sämtlichen sozialen Gefügen. Was es in Marzahn nicht gibt, das ist eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Es gibt kaum Restaurants, Kneipen, Kinos, Theater, etc. geschweige denn andere Einrichtungen, die einen sozialen und kulturellen Austausch ermöglichen. Es sind Wohnsilos, inzwischen aufgepeppt, aber in Marzahn ist menschliches Material auf Eis gelegt. Schlafen, fressen, wohnen - rein in die Stadt zum Arbeiten und dann wieder raus. Daran ist nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen. Wenn Architektur dazu in der Lage ist, ein menschliches Miteinander zu verhindern, dann in diesen grotesk überzogen riesig angelegten Plattenbausiedlungen.

Und natürlich ziehen sämtliche Schulabgangjahrgänge in die Stadt und ja, wir haben alle, wirklich alle mitgewirkt an den Veränderungen in Berlin. Darüber braucht sich niemand etwas vormachen. Der Begriff der Gentrifizierung ist aber ein anderer. Er beschreibt ein Phänomen, welches letzten Endes wiederum soziale, kulturelle und politische Folgen hat und darauf muss man politisch reagieren, anders geht es gar nicht. Aufgewerteter Wohnraum muss nicht zwingend unerschwinglich sein und schon gar nicht in einer Stadt wie Berlin, wo die Einkommenshöhe den bundesdeutschen Durchschnitt unterläuft.

Und Gentrifizierung ist eben kein Pop-Phänomen, mit dem man mal eben so lässig spielen kann, wie mit einem Jojo. Die Tendenz, irgendeine kritische Gesellschaftsbewegung auf den Pop-Kultur-Altar zu platzieren, beäuge ich seit Jahren in Berlin äußerst argwöhnisch, wobei es zum Beispiel dem Feminismus um keinen Deut geschadet hat. Im Gegenteil. Hinsichtlich von Gentrifikation ist es aber durchaus angebracht, den neoliberalen Hebel zu demontieren und eine sozial verträgliche Wohnungspolitik auf politischer Basis in Berlin einzuführen, und zwar bevor es knallt. Ich spreche nicht von Maik und den angezündeten Kinderwagen, sondern in diesem Fall von London und den kürzlichen Ausschreitungen.



Sonntag, 14. August 2011
Was den Slutwalks anhaftet ist die Schwierigkeit, etwas so Privates und Intimes, wie die eigene Sexualität offen zur Schau zu stellen, weil auch der Missbrauch und die Unterdrückung im Privaten stattfinden. Kollektive Ächtung von Freizügigkeit in der sexuellen Lebensweise, im Sinn von staatlich institutioniert, gehören in allen Staaten der Europäischen Union so gut wie der Vergangnheit an. Darum ging es aber auch weniger, denke ich.

Jede einzelne spezifische Gruppe von Frauen wurde beim Slutwalkberlin 2011 präsentiert oder kam zu Wort, die mittenmang sehr häufig mit sexualisierter Gewalt zu tun haben und das sind auch illegale Prostituierte, migrantische Prostituierte, Prostituierte, junge Mädchen, die ihre Sexualität im Spiel mit der Öffentlichkeit ausprobieren wollen, gestandene Frauen, wir Wendekinder, Ost wie West und Männer (und jetzt noch mal: illegal, migrantisch, jung, gestanden, Anfang bis Mitte Dreißig). So.

Wer einen Blick dafür hatte, wusste auch um einige Frauen, warum die hier mitgelaufen sind. Weil sie selbst schon einmal Missbrauch erfahren haben. Und zumeist, recht pauschal formuliert, ist das kein glücklicher Blick.

Denn darum geht es - um glückliche Sexualität, die zwar in allen möglichen Ausformungen und Perversionen daherkommen mag, aber einfach das Mindestmaß an Menschlichkeit beinhaltet und zwar das der Freiwilligkeit. Ich tue das, weil ich das mag. Das ist meine sexuelle Befreiung.

Kann man nun einwenden, dass viele kulturelle Einschreibungen uns eine bestimmte Möglichkeit an Freiheit überhaupt nicht mehr gewehren können, weder im Gestalten unseres Lebens, noch in unserer Sexualität. Wir sind natürlich kulturell gebunden an unsere Rituale und Normen. Verletzungen werden mit Strafen geächtet.
Aber man kann das Strafmaß verändern. Und wenn viele junge Frauen darauf bestehen, selbst über ihren Körper bestimmen zu wollen, dann muss die Gesellschaft das Strafmaß für den Täter ändern.

Und dann ist dies ein ganz normales Strafmaß, auf dass sich auch keine Boulevardpresse mehr stürzen wird.
Was geben wir der Presse demnächst? Kalter Krieg, Vergewaltigung, Bundesgartenschau oder Heidi Klum?



Mittwoch, 13. Juli 2011
Derzeit läuft im RBB Happiness (Todd Solondz) und ich werde schmerzhaft und zuweilen heiter an die endenden 90er erinnert, wo ich mit einer Freundin diesen Film in einem Kino sah und wir wie im Delirium das Kino nach Abspann verließen, kaum sprachen, einiges mal lachten, jeder für sich die kaputten Teile in seinem Leben oder dem Leben von Freunden, also auch unsere beiden, versuchte zu bespucken oder mit Spucke wieder zusammenzukleben.

Ununterbrochen deckt der Film alle zynischen Komponenten einer Mittelschicht auf, die von sich selbst glaubt, auf der moralisch sicheren Seite zu sein und immer knapp vor dem Abgrund steht, in jeder Pose und jeder Willensbekundung. Zumindest gab es Ende der 90er noch keine großartigen finanziellen Probleme in der Mittelschicht.

Die Ästhetik des Films, seine Geschichte und seine Sujets wirken auf mich allzu bekannt und wirklich hineinfallen tue ich da jetzt auch nicht und klappe mein Handy auf, wo Mrs. Monkeypenny einen Artikel auf Twitter verlinkt.

Ahja, denke ich, nachdem ich zu Ende gelesen habe. Geht wohl um Popscheiße. Und so leid es mir tut, weil ich mag junge Literatur, aber der Text von Antonia Baum war wirklich langweilig. Egal. Zurück zu Mrs. Monkeypenny. ( I am more addicted to Steffen Popp)

Ich komme aus einer sehr witzigen Generation, weil ich Anfang 1998 zu jung war, um richtig mitspielen zu können, mit 20 Jahren und im Prinzip heute schon zu alt bin, als dass mich jemand popliterarisch verführen könnte. Jedoch bin ich nun einfach mal überhaupt nicht alt, sondern quasi die Mitte der Gesellschaft, also ein Teil derjenigen, die jetzt allmählich großes Mitspracherecht haben müssten. Politisch, sowie kulturell. Die Frage ist, haben wir das?

Meine Biographie ist jetzt so, dass ich, sowie einer großer Teil meiner Freunde wirklich alles mitgenommen haben zwischen zwanzig (oder früher) und dreißig. Wir waren schamlos, respektlos, experimentierfreudig, lernfreudig und finanziell sicher gestellt. Und vor allem Wendekinder. Und wir kennen alles.

Uns hat die Vielfalt erwischt. Jeder hat einen einzigartigen Lebensentwurf vollbracht, beinah jeder hat das Dogma Arbeit erreicht, auf so vielfältige und komplexe Art und Weise, dass man tatsächlich staunen müsste. Meine Eltern tun das schon, wenn ich von Freunden und deren Lebenswegen erzähle (meine katastrophale Wegbegehung kennen einige Leser). Sie hatten es einfacher und zugleich war alles schmalspuriger und knapper, aber rutschfest.

So als wäre der Zwang obsolet geworden, ging plötzlich mit der Rente meines Vaters etwas Hand in Hand. Als suchte er die Freiheit und nähme jetzt das, was sich böte und zwar in Panoramaaufnahme. Nicht mehr einzelne Nächte, sondern das große Ganze sollte es sein. Der Geschichte nach war es ein Zufall und seine Jugendliebe (gleichaltrig) meldete sich plötzlich bei ihm und die Dinge nahmen ihren Lauf und stoppen erst, als er bemerkte, dass er das Chaos im Bad seiner Jugendliebe nicht mochte und sie sich von ihrem Mann nicht trennen konnte. Der soufflierte Spruch seines Vaters (Jahrgang 1901) begleitete ihn fortan, verfolgte ihn geradezu monatelang: "Egal welche Frau du nimmst. Sie sind alle letzten Endes gleich."

Ich habe die Hoffnung, mein Vater hat den Spruch seines Vaters für sich selbst dann doch klammheimlich widerlegen können. Der Glücksmoment ist der, entdecken zu dürfen, frei, zwanglos und angstfrei.



Sonntag, 10. Juli 2011
Irgendeine Herrlichkeit muss all dieses Schreiben haben. Man hat sich mitzuteilen, wegen irgendetwas. Da ist gerade etwas passiert, in den jüngsten Tagen. Das Leben bricht um sich herum und mich faszinieren meine trostlosen Kindheitserinnerungen auch nimmermehr. Echtheitserzählungen. Ich bin ja zuweilen auch eine von diesen Echtheitserzählerinnen in Gesprächen, die indirekte Rede verschmäht und Exzerpte für undurchsichtige Mafiamethoden der Universität hält. Also schiebe ich wieder ein wenig herum. Schiebe mich herum. Hier in Echtzeit.

Man konnte den letzten Eintrag nicht kommentieren, aber die Kommentarwall (das unsichtbare Zimmer) war voll mit Kommentaren wie, in etwa übersetzt: "Und? Was soll es schon? Reg dich doch nicht so auf! Das passiert halt! Jaja, so ist das!"

Dann dachte ich auch noch, dass ich die mitgenannte Person besser schützen sollte und dachte auch, dass ich sie falsch charakterisiert habe. Aus mir wäre nie eine gnadenlose Journalistin geworden, geschweige denn überhaupt Journalistin. So gut bin ich nun auch wieder nicht. Aber zu der Kritik an der derzeitigen Gelderverteilung von gewissen Berliner Institutionen stehe ich immer noch. Namenlose Kritik - so wird natürlich kein Schuh draus. Je nun, bestimmte Dinge müssen halt woanders ausgetragen werden.

Das, was ich geschaffen habe und was ich getan habe, war nie wenig und nie unbedeutend, für mich. Und mein Weg ist einer von diesen typischen Berliner Chaoswegen, wo man in Marzahn anfängt in der Wuhle schwimmen zu lernen, um dann auf der Panke schnellstmöglich mit einem Floß wieder die Spree zu erreichen.

Und da bin und war ich. Oder war und bin ich?

Ich weiß nur eines. Die Dinge, die ich spannend finde und für die ich mich interessiere, die interessieren auch eine Menge anderer Leute in meinem Alter. Nur letzten Endes bleibt immer alles eine Frage des Geldes - hier wie dort.