Sonntag, 28. August 2011
¶ Replik
In den letzten Tagen brodelte es im Medienwald, eine FAZ - Journalistin wollte die schwäbische Hausfrau in Berlin etablieren, die TAZ griff dann in die Berliner Mentalitätsklischeekiste, um den Berlinerklärbär zu geben und der Tagesspiegel geht so gar noch einen Schritt weiter und summt ein Hohelied auf den derzeit heftig angespannten Wohnungsmarkt in Berlin. Alter Schwede. Es ist Wahlkampfzeit und es wird aller Orten um Deutungshoheit gerungen und über Gentrifizierung kann inzwischen auch die gut informierte Oma Paschulke mitreden, manchmal braucht es nur einen provokanten Text, mit einer süßlichen Note von Naivität garniert.

Und liebe Journalisten und Pop - Phänomen - Erschaffer da draußen, wir, die wir im Internet leben, sind euch immer um einiges voraus. Kulturschaffende oder auch Journalisten, die heutzutage noch das Internet links liegen lassen, haben den Knall nicht gehört.

Die hochgeschätzte Madame Modeste hat nun eine Fürsprecherin bekommen, eine ebenfalls gut verdienende und leistungsbereite junge Frau, welche aber im Unterschied zu Madame Modeste im Osten von Berlin aufgewachsen ist, wie sie selbst im Artikel erzählt. Und liebe Leser und Leserinnen, die sie sich hierher verirrt haben, sie lesen den Text einer jungen Frau, die das Grauen gesehen hat, die quasi ihre gebündelten Ängste darstellt und ich kann sie ihnen nicht einmal nehmen. Denn ich bin Marzahn aufgewachsen und es ist mit die assozialste Wohnform, die sich Menschen erdacht haben und da helfen nicht einmal selbst konstruiert gedachte schwäbische Hausfrauen in einem Plattenbau, die die Kehrwoche einführen oder ein Wiederaufleben von kollektivistischen sozialistischen Vorgartenpflegeprojekten.

Der geballte Plattenbauraum ist nicht nur unschön und unästhetisch, er garantiert auch ein Auseinandergeraten von sämtlichen sozialen Gefügen. Was es in Marzahn nicht gibt, das ist eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Es gibt kaum Restaurants, Kneipen, Kinos, Theater, etc. geschweige denn andere Einrichtungen, die einen sozialen und kulturellen Austausch ermöglichen. Es sind Wohnsilos, inzwischen aufgepeppt, aber in Marzahn ist menschliches Material auf Eis gelegt. Schlafen, fressen, wohnen - rein in die Stadt zum Arbeiten und dann wieder raus. Daran ist nichts, aber auch gar nichts zu beschönigen. Wenn Architektur dazu in der Lage ist, ein menschliches Miteinander zu verhindern, dann in diesen grotesk überzogen riesig angelegten Plattenbausiedlungen.

Und natürlich ziehen sämtliche Schulabgangjahrgänge in die Stadt und ja, wir haben alle, wirklich alle mitgewirkt an den Veränderungen in Berlin. Darüber braucht sich niemand etwas vormachen. Der Begriff der Gentrifizierung ist aber ein anderer. Er beschreibt ein Phänomen, welches letzten Endes wiederum soziale, kulturelle und politische Folgen hat und darauf muss man politisch reagieren, anders geht es gar nicht. Aufgewerteter Wohnraum muss nicht zwingend unerschwinglich sein und schon gar nicht in einer Stadt wie Berlin, wo die Einkommenshöhe den bundesdeutschen Durchschnitt unterläuft.

Und Gentrifizierung ist eben kein Pop-Phänomen, mit dem man mal eben so lässig spielen kann, wie mit einem Jojo. Die Tendenz, irgendeine kritische Gesellschaftsbewegung auf den Pop-Kultur-Altar zu platzieren, beäuge ich seit Jahren in Berlin äußerst argwöhnisch, wobei es zum Beispiel dem Feminismus um keinen Deut geschadet hat. Im Gegenteil. Hinsichtlich von Gentrifikation ist es aber durchaus angebracht, den neoliberalen Hebel zu demontieren und eine sozial verträgliche Wohnungspolitik auf politischer Basis in Berlin einzuführen, und zwar bevor es knallt. Ich spreche nicht von Maik und den angezündeten Kinderwagen, sondern in diesem Fall von London und den kürzlichen Ausschreitungen.