¶ Marzahn
Sie nannten mich Blümchen, vermutlich weil ich die Jüngste war. Zu meinem 16. Geburtstag kamen sie in der Mittagspause auf den Schulhof und schenkten Blümchen zwei kleine Topfpflänzchen. Wir trugen gebrauchte Lederjacken und hingen am Wochenende meist im Prenzlauer Berg oder in Mitte rum, obwohl wir eigentlich aus Marzahn kamen, was uns aber niemand ansah. Wenn wir mit der Straßenbahn in die Stadt fuhren, saßen wir auf dem Schoß unserer Liebsten, redeten laut, meist angetrunken und bekifft über Musik und Literatur. Im Café Westphal spielten wir Schach und in der Schönhauser Fünf beschlugen im Winter unsere Brillen. In der Schönhauser Fünf stand ein Trabbi in der zweiten Etage und es gab Ausschank und irre viele betrunkene Menschen. Laute Musik. Punk vermutlich. Vermutlich machten Suff und Kiff die langen Strecken erträglicher. Jeder von uns war schon einmal an der Endstation der Straßenbahn verwirrt aufgewacht, weil er eingeschlafen war. Ich begleitete die Band eine Zeit lang als Freundin des Keyboarders und in einem stillem Moment eines Sommers saß ich am Schlagzeug. Ob sich später so eventuelle Liebschaften ergeben hätten? Oder vielleicht nur eine durchwachte Nacht mit hängendem Kondom aus der Hose?
Ich weiß nicht, wenn ich an Marzahn denke, denke ich vor allem an den Kienberg. Ich würde dort Wanderungen und revolutionäre Konzerte veranstalten, wenn ich Jungrevolutionärin wäre. Meine Geschichten sind Vergangenheit und stapeln sich dann immer, wenn ich mal wieder dort war. Es ist viel. Meine Kindheit und meine Jugend.
Ich weiß nicht, wenn ich an Marzahn denke, denke ich vor allem an den Kienberg. Ich würde dort Wanderungen und revolutionäre Konzerte veranstalten, wenn ich Jungrevolutionärin wäre. Meine Geschichten sind Vergangenheit und stapeln sich dann immer, wenn ich mal wieder dort war. Es ist viel. Meine Kindheit und meine Jugend.
Den Garten gibt es schon seit den 50er Jahren. Er ist ein Relikt der Vertreibung und man wird ihrer heutzutage immer noch gewahr, wenn man versucht, abends ins Netz zu kommen, da es ansonsten nur eine analoge Telefonleitung gibt. Da wechseln die tschechischen und deutschen Anbieter alle Minuten, so als könnten sie sich nicht entscheiden. Schlussendlich hat man meistens kein Netz, was auch besser der Bestimmung des Ortes entspricht. Abgelegen und auf einem Berg. So wollte es mein Großvater. Es ist ein winziges Dorf, was niemand kennt. Alle halbe Stunde fährt ein Automobil durch und das war es schon. Weswegen man ein Automobil besitzen muss, um sich dort versorgen zu können oder sehr festes Schuhwerk und Ausdauer. Die Buslinien halten außerhalb des Dorfes in einem anderen Dorf und fahren zwei Mal am Tag. Mein halbes Leben hat sich dort abgespielt. Ich habe dort Ski fahren gelernt mit fünf Jahren und gelernt mich in scheinbar unübersichtlichen Wäldern zurechtzufinden. In den Bücherregalen standen jahrzehntelang die Schauermärchen der 20er und 30er Jahre. Als die Enkel begannen Geisteswissenschaften zu studieren, lichteten sich die Regale. Ich konnte immerhin den "Untergang des Abendlandes" sowie einige Goethe-Ausgaben abstauben. Der Garten ist mein geheimes Gefühlsressort, aber auch Erinnerungsort für Wochen mit Freunden. Dort stapelt sich sehenden Auges Geschichte. An diesem Wochenende kam wieder neue hinzu.
Die flächendeckende Internetüberwachung verlangt von uns momentan Verschlüsselungskompetenzen und einen durchdachten Umgang mit unseren Daten. Was aber nicht passieren sollte, ist die Aufgabe unserer digitalen Räume, denn in ihnen gestalten wir unsere Normen und Werte. Diese Narrative erreichen unsere Mitmenschen und es entstehen so gesellschaftliche Debatten, die wir begleiten können. Das ist ein unwiederbringlicher Gewinn, den wir verteidigen müssen. Diese Narrative und Debatten können auftauchende propagandistische Ziele entlarven, so wie das derzeit der Fall ist.
Relative Relevanz
Betrachtet man das gesamte Leben als Erzählung, dann existiert bereits jetzt neben unserer eigenen Erzählung und z. B. der Erzählung unserer Mutter, ein Metadatenprofil, welches bei genauerer Betrachtung eben nur ein Erzählgerüst darstellt. Mitunter ist dieses Profil in einigen Punkten informierter als unsere Mutter und wir selbst. In anderen Punkten wiederum sind große weiße Flächen zu finden. Werden diese weißen Flächen anhand der vorhandenen Information von einer fremden normativen Kraft semantisiert, entsteht mitunter Blödsinn oder mit etwas Glück eine Erzählung, die sich geringfügig von unserer eigenen oder der unserer Mutter unterscheidet. Mit etwas Glück. Das ist genau die Kritik, auf die auch Kulturanthropologen immer wieder stoßen. Eine teilnehmende Beobachtung ist immer noch eine Beobachtung. Die Entwicklungen unserer Gesellschaft, für alles eine genaue EU - Vorschrift, das perfekte Medikament für eine Krankheit und den Masterplan für die Karriere parat zu haben, geraten an ihre Grenzen, wenn sie auf den Mensch treffen. Polnische Schlachtereien und Kroatische Käsereien funktionieren seit Jahrhunderten nach ihren eigenen Traditionen, Körper reagieren unterschiedlich auf chemische Präparate und Lebensläufe setzen sich aus unzähligen Konstituenten zusammen, dass eine Vorhersehbarkeit der Entwicklung eines Menschen ausschließlich der eigenen Mutter zugetraut werden darf. Unter Vorbehalt. Ein weiteres Problem ist das Anpassen an fremde normative Strukturen, was durchaus bewusst geschehen kann, aber zu großen Teilen unterbewusst geschieht, sich einschleicht. Christoph Kappes hat das die unsichere Zukunft genannt, die wir brauchen, um frei und selbstständig handeln zu können. Vertrauen kann sich nur dort entwickeln, wo die Zukunft unsicher ist, wo Menschen handeln und wo sie auch die Wahl haben, sich für unethisches Handeln zu entscheiden.
Normative Erwartungen
Unsere Gesellschaft ist von vielfältigen Kontrollmechanismen durchzogen, dass es fast schon absurd scheint, obendrauf noch eine Totalüberwachung zu platzieren. Wir sind eingebunden in mannigfache Strukturen, die uns von der Wiege bis zur Bahre begleiten. Schule, Ausbildung oder Studium und darauffolgend eine Erwerbstätigkeit sind dabei noch die sichtbaren Mechanismen in den westlichen Demokratien. Die weit weniger sichtbaren Kontrollinstanzen als die EU und die Bundesregierung sind keine Instanzen, sondern propagierte Werte und Normen. Deswegen müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wer die Normsetzer sind und welche Normen verinnerlicht werden sollen. Mit welchen Prämissen arbeiteten die Geheimdienste und unter welcher Voraussetzung landen wir unter Umständen auf dem Radar. Interessant fand ich dazu diesen Artikel aus dem Tagesspiegel, wo der Begriff Entitäten eingeführt wird. Entitäten sind gleichbedeutend mit Konzernen und staalichen Kontrollbehörden. Konformes Verhalten bedeutet nicht nur das Weglassen von Witzen über Terroranschläge, sondern funktioniert teilweise viel subtiler und der Begriff Entität könnte gut und gerne in Leif Randts Schimmernder Dunst über Coby County auftauchen. Coby County ist eine geglättete Welt, in der es keine Ausschläge nach oben oder nach unten gibt. Zwar brodelt es unter der Oberfläche, aber die Bewohner von Coby County sind qua ihrer Gleichförmigkeit nicht mehr dazu in der Lage, ihre unguten Gefühle und Gedanken als solche überhaupt zu erkennen und zu benennen.
Spionage ist keine soziale Kontrolle
Spionage hatte den ursprünglichen Sinn und Zweck der geheimen Informationsbeschaffung, um dem Konkurrenten ein paar Schritte voraus zu sein. Konkurrent umfasst hierbei nicht nur die klassische Konkurrenz im wirtschaftlichen Sinne, sondern auch den Kriegsgegner, den befreundeten Staat und neue aufkommende politische Bewegungen. Demnach ist Spionage keine gesellschaftlich akzeptierte soziale Kontrolle und sollte auch nicht als solche bezeichnet, noch behandelt werden, auch wenn die Spionage während des Kalten Krieges zuweilen ein Ausbalancieren der Kräfte herbeiführte. Die umfassende Sammlung sämtlicher Daten der Weltgesellschaft hat mit klassischer Spionagetätigkeit nichts mehr zu tun. Die unterschiedlichen Interessenten und Entitäten, die sich dieser Daten bedienen, verletzen unsere Privatsphäre und Grundrechte. Wenn unsere Werte auf Vertrauen und Wahlfreiheit basieren, dann müssen wir den Wächter aus dem Panoptikum entfernen. Das Panoptikum abzureißen oder zu verlassen, wäre der erste Schritt hin zu einer neuen Gesellschaftsordnung. Was im einzelnen realistischerweise zu tun wäre, kann man bei Guenter Hack nachlesen.
Neben der Foderung nach einem globalen Menschenrecht, welches ein Grundrecht auf Datenschutz und digitale Freiheit garantiert, sollten wir uns auch allmählich aus den digitalen Global Playern zurückziehen, bzw. nicht ausschließlich deren Plattformen und Suchmaschinen nutzen.
Relative Relevanz
Betrachtet man das gesamte Leben als Erzählung, dann existiert bereits jetzt neben unserer eigenen Erzählung und z. B. der Erzählung unserer Mutter, ein Metadatenprofil, welches bei genauerer Betrachtung eben nur ein Erzählgerüst darstellt. Mitunter ist dieses Profil in einigen Punkten informierter als unsere Mutter und wir selbst. In anderen Punkten wiederum sind große weiße Flächen zu finden. Werden diese weißen Flächen anhand der vorhandenen Information von einer fremden normativen Kraft semantisiert, entsteht mitunter Blödsinn oder mit etwas Glück eine Erzählung, die sich geringfügig von unserer eigenen oder der unserer Mutter unterscheidet. Mit etwas Glück. Das ist genau die Kritik, auf die auch Kulturanthropologen immer wieder stoßen. Eine teilnehmende Beobachtung ist immer noch eine Beobachtung. Die Entwicklungen unserer Gesellschaft, für alles eine genaue EU - Vorschrift, das perfekte Medikament für eine Krankheit und den Masterplan für die Karriere parat zu haben, geraten an ihre Grenzen, wenn sie auf den Mensch treffen. Polnische Schlachtereien und Kroatische Käsereien funktionieren seit Jahrhunderten nach ihren eigenen Traditionen, Körper reagieren unterschiedlich auf chemische Präparate und Lebensläufe setzen sich aus unzähligen Konstituenten zusammen, dass eine Vorhersehbarkeit der Entwicklung eines Menschen ausschließlich der eigenen Mutter zugetraut werden darf. Unter Vorbehalt. Ein weiteres Problem ist das Anpassen an fremde normative Strukturen, was durchaus bewusst geschehen kann, aber zu großen Teilen unterbewusst geschieht, sich einschleicht. Christoph Kappes hat das die unsichere Zukunft genannt, die wir brauchen, um frei und selbstständig handeln zu können. Vertrauen kann sich nur dort entwickeln, wo die Zukunft unsicher ist, wo Menschen handeln und wo sie auch die Wahl haben, sich für unethisches Handeln zu entscheiden.
Normative Erwartungen
Unsere Gesellschaft ist von vielfältigen Kontrollmechanismen durchzogen, dass es fast schon absurd scheint, obendrauf noch eine Totalüberwachung zu platzieren. Wir sind eingebunden in mannigfache Strukturen, die uns von der Wiege bis zur Bahre begleiten. Schule, Ausbildung oder Studium und darauffolgend eine Erwerbstätigkeit sind dabei noch die sichtbaren Mechanismen in den westlichen Demokratien. Die weit weniger sichtbaren Kontrollinstanzen als die EU und die Bundesregierung sind keine Instanzen, sondern propagierte Werte und Normen. Deswegen müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wer die Normsetzer sind und welche Normen verinnerlicht werden sollen. Mit welchen Prämissen arbeiteten die Geheimdienste und unter welcher Voraussetzung landen wir unter Umständen auf dem Radar. Interessant fand ich dazu diesen Artikel aus dem Tagesspiegel, wo der Begriff Entitäten eingeführt wird. Entitäten sind gleichbedeutend mit Konzernen und staalichen Kontrollbehörden. Konformes Verhalten bedeutet nicht nur das Weglassen von Witzen über Terroranschläge, sondern funktioniert teilweise viel subtiler und der Begriff Entität könnte gut und gerne in Leif Randts Schimmernder Dunst über Coby County auftauchen. Coby County ist eine geglättete Welt, in der es keine Ausschläge nach oben oder nach unten gibt. Zwar brodelt es unter der Oberfläche, aber die Bewohner von Coby County sind qua ihrer Gleichförmigkeit nicht mehr dazu in der Lage, ihre unguten Gefühle und Gedanken als solche überhaupt zu erkennen und zu benennen.
Spionage ist keine soziale Kontrolle
Spionage hatte den ursprünglichen Sinn und Zweck der geheimen Informationsbeschaffung, um dem Konkurrenten ein paar Schritte voraus zu sein. Konkurrent umfasst hierbei nicht nur die klassische Konkurrenz im wirtschaftlichen Sinne, sondern auch den Kriegsgegner, den befreundeten Staat und neue aufkommende politische Bewegungen. Demnach ist Spionage keine gesellschaftlich akzeptierte soziale Kontrolle und sollte auch nicht als solche bezeichnet, noch behandelt werden, auch wenn die Spionage während des Kalten Krieges zuweilen ein Ausbalancieren der Kräfte herbeiführte. Die umfassende Sammlung sämtlicher Daten der Weltgesellschaft hat mit klassischer Spionagetätigkeit nichts mehr zu tun. Die unterschiedlichen Interessenten und Entitäten, die sich dieser Daten bedienen, verletzen unsere Privatsphäre und Grundrechte. Wenn unsere Werte auf Vertrauen und Wahlfreiheit basieren, dann müssen wir den Wächter aus dem Panoptikum entfernen. Das Panoptikum abzureißen oder zu verlassen, wäre der erste Schritt hin zu einer neuen Gesellschaftsordnung. Was im einzelnen realistischerweise zu tun wäre, kann man bei Guenter Hack nachlesen.
Neben der Foderung nach einem globalen Menschenrecht, welches ein Grundrecht auf Datenschutz und digitale Freiheit garantiert, sollten wir uns auch allmählich aus den digitalen Global Playern zurückziehen, bzw. nicht ausschließlich deren Plattformen und Suchmaschinen nutzen.