Gegen die Monogamie spricht der große intellektuelle Nutzen von Affären.


Eine meiner längeren und glücklich währenden Affären hatte einen Zusatzbonus; dergestalt, dass meine erste Aufmerksamkeit beim Betreten der Wohnung des Mannes nicht dem Interieur oder dem Bett galt, sondern dem Bücherregal. Der freudige Ausdruck des Mannes in seinem Gesicht sowie diesen ihn begleitender Satz: "Du bist die erste Frau, die sich für meine Bücher interessiert!", ließen mich, zweiundzwanzigjährige Frau, die ich war, etwas sprachlos zurück. Aber der Satz, welcher Ausdruck reeller Freude war, blieb haften - sowie auch spätere Versuche, diesen Mann näher an mich zu binden.

Der Affärenzustand an sich ist ein Bekenntnis zu und ein Beharren auf einen ewig währenden Ausnahmezustand, welcher eben dadurch belebt wird und dieser Logik meist noch nach Jahren folgt. Man ist zu nichts verpflichtet, lebt in getrennten Wohnungen, ist irgendwie aufeinander eingeschossen, aber doch in so vielem getrennt und Monate ohne den anderen sind in der Regel auch nicht ungewöhnlich. Mir nutzte seine intellektuelle Gesellschaft insofern, dass ich anderen Affären gegenüber gelassener auftrat, mich in der Vielfalt der Männerwelt besser zurecht fand und einen sanften Rückhalt hatte. Er war wie eine große warme Kraft, gegen die man sich auflehnen konnte und bei der man sich anlehnen mochte. Wenn ich ihn anderswo zitierte, wusste ich, keinen Schmonzes von mir gegeben zu haben.

Unser gemeinsames Leben beschränkte sich auf Restaurantbesuche, Filmabende und wilden Diskussionen bei Musik und Wein - ich hätte mir kaum schöneres vorstellen können und darum interessierte mich wenig, was er eventuell vor mir verborgen hielt, weil es gefühlt relativ wenig sein konnte. Was es bei weitem nicht war. Denn für ihn hieß Lebensgenuss, sich mit sechs weiteren Frauen eingelassen zu haben. Jede Frau auf ihre Weise schön und liebenswert, alle kaum voneinander wissend, war also ein Steinchen in diesem seinen Mosaikgebilde. Sein intellektuelles und emotionales Reich, ein reichhaltiges Gebilde. Da, wo man manchmal Menschen nicht teilen möchte, wurde es für mich schwer, aber zugleich war ich auch unfähig, mir nach jahrelangem Affärenzustand etwas anderes vorzustellen. Wir fuhren auf einem See in seinem Boot umher und warfen uns unsere mageren Zukunftsaussichten zu, schauten den anderen an - von oben, hinten und vorne. Vielleicht wollte er mir auch nur extra beweisen, wie sinnlos diese Idee war, während wir uns Häuser am Ufer anschauten, uns mit Segelclubmitgliedern unterhielten und uns mehr von einander entfernten an diesem Tag, als all die Jahre zuvor.

Jedes Beziehungsmodell hat seine Zeit, wobei ich glaube, dass es da keine Richtlinien in der Abfolge gibt. Das Leben belehrt uns immer wieder eines besseren, wie wir alle wissen. Und manchmal ist man irritiert von Wiederholungen oder vermag manches nicht einzuordnen oder es kommt gerade ungelegen und dann wusste man es erst hinterher, dass da etwas war.




Zwei weitere Gedanken habe ich zu den Affären noch, bzw. kann ich den Tweet ausführen.

Die Affäre in sich ist als Beziehungsform so instabil, da sie selten benannt wird. Untereinander spricht man nicht davon, eine Affäre miteinander zu haben. Man benennt sie nur als solche, wenn man über den oder die andere spricht. Von daher bleibt oftmals selbst in intellektuell stimulierenden Affären vieles Unausgesprochen und nicht aufrichtig.

Gleichzeitig bezeichne ich heute Affären oftmals nicht mehr als solche, weil das Wort negativ konnotiert ist. Die Grenzen von Freundschaft, sexueller Anziehungskraft und Liebe sind fließend. Man kann Affären miteinander haben, ohne dass es andere Partner_innen gibt, die hintergangen werden oder die Nebenbeziehung akzeptieren.

Ich persönlich habe in Beziehungen mit Sex nahezu immer eine andere intellektuelle Qualität gesehen, als in Freundschaften oder anderen platonischen Beziehungen. Vielleicht ist es Projektion, vielleicht schaffen die Nähe und Intimität, die beim Sex entstehen, tatsächlich andere Voraussetzungen für Gespräche. Vielleicht wäre ein anderes Verhältnis zu Intimität in Freundschaften ein Schlüssel für das, was ich hier versuche zu beschreiben. Freilich hängt da sehr viel dran: will man diesen "intellektuellen Nutzen", muss die Beziehung so erwachsen sein, dass emotionale Verletzungen ausgeschlossen werden. Affären tendieren ja oft dazu asymmetrisch zu sein. Sie müssen es aber nicht.

Feste Beziehungen leiden oft am Alltag. Ich habe keine konkrete Idee wie, aber vielleicht kann in Beziehungen auch der Habitus einer Affäre ab und an gelebt werden. Ungezwungener miteinander sein, Achtsamkeit auch mit sich selbst, emotionale Abhängigkeit vermeiden, miteinander frei sein. Ich las bei Hannelore Schlaffer die schöne Formulierung einer intellektuellen Ehe als "Die Freiheit voneinander, in Verpflichtung füreinander."