Sonntag, 5. August 2012
Vor ein paar Monaten habe ich eine meiner LiebslingsmittwitterInnen scherzhaft als Alien bezeichnet, da sie die Vorwendezeit nicht miterlebt hat. Stolz brüstete sie sich, aber immerhin vor dem Mauerfall geboren zu sein. Diese Tatsache, das gleiche Geburtsjahr, teilt sie mit Nadja Drygalla, aber vermutlich mehr auch nicht.

Die nicht abzustreitende Nähe von Frau Drygalla zur rechten Szene müsste meiner Alien-Theorie (Alles Neue macht der Umbruch) zufolge eigentlich nicht nachvollziehbar sein. Aber ebensowenig ist es kaum nachvollziehbar, dass der
Nationalsozialistische Untergrund, samt seiner Wendekindermitglieder, über ein Jahrzehnt sinnlos mordend durch die Republik ziehen konnte. Wie wurden die Feindbilder weitergegeben? Wer hat sie aufrecht erhalten? War das nur ein kleiner Teil der Bevölkerung oder wurden nationalistische Gesinnungen quer durch alle Bevölkerungsschichten bewußt oder bewußtlos weiter gepflegt?

Unermüdlich stemmte sich doch ein Großteil der Bevölkerung, vor allem nach der Wende und den Vorfällen in Rostock Lichtenhagen, gegen seine hässliche Vergangenheit und diskutierte in unterschiedlichen Rahmen über die Zukunftsperspektiven der scheinbar losen ostdeutschen Landstriche und versuchte neue Rituale des Gedenkens zu installieren und Aufklärungsarbeit zu leisten, wo sie im Schulunterricht der DDR häufig als zu selbstverständlich daherkam.

Die Installation der NPD in den Zonengebieten geschah natürlich auch nicht von ungefähr, da genauso wie Unternehmer oder die großen Parteien SPD und CDU natürlich auch die NPD in den Osten fuhr und für sich zu werben begann. Die Forschungen und Studien dazu sind zahlreich. Aber die NPD allein bildet nicht das ab, was an Ressentiments in der Bevölkerung weiterhin schwelt und schwelen wird. Die Verantwortliche für neue große Wellen der Entrüstung ist die Angst. Eine Angst, die von Thilo Sarrazin geschürt wird, von der Bankenkrise getragen wird, welche Austerität statt Austern fordert und die einen greifbaren und altbekannten Verursacher sucht. Es sind die Anderen, das Andere, das Merkwürdige, das Homosexuelle, das Sinnlose, Überflüssige, Hedonistische, das Sündige - das, was meinen Alltag durcheinander bringt, den ich mir mühselig und ordentlich eingerichtet habe, damit mich das System in Ruhe lässt, damit ich hier verdammt noch mal nicht untergehe und klarkomme. Verdammt noch mal!

Rostock existiert auch in Berlin Berliner Bierfest: Hohe Dichte an Londsdale, Consdaple und Thor Steinar Shirts über dicke Mahlsdorfer Bäuche oder Muskeloberarme gespannt. noch. Da mache sich mal keiner was vor. Und es ist das Berlin dieser Tage, nicht jener vergangenen Tage, wo Vietnamesen in Marzahn "abgestochen" wurden wie Vieh aus der Massentierhaltung, weil wegen "Scheiß Fidschis und so" und haste nicht gesehen.

Wer in diesen Tagen anfängt, auch nur irgendwie und weiß der Fuchs wozu, Angst zu schüren, dem kann nur eins geraten werden: Entspann dich verdammt noch mal, dreh auf, tanz dich halbtot, nimm Drogen, schrei es raus, engagiere dich (egal ob sinnlos oder nicht) und dann reden wir weiter.