Vor ein paar Monaten habe ich eine meiner LiebslingsmittwitterInnen scherzhaft als Alien bezeichnet, da sie die Vorwendezeit nicht miterlebt hat. Stolz brüstete sie sich, aber immerhin vor dem Mauerfall geboren zu sein. Diese Tatsache, das gleiche Geburtsjahr, teilt sie mit Nadja Drygalla, aber vermutlich mehr auch nicht.

Die nicht abzustreitende Nähe von Frau Drygalla zur rechten Szene müsste meiner Alien-Theorie (Alles Neue macht der Umbruch) zufolge eigentlich nicht nachvollziehbar sein. Aber ebensowenig ist es kaum nachvollziehbar, dass der
Nationalsozialistische Untergrund, samt seiner Wendekindermitglieder, über ein Jahrzehnt sinnlos mordend durch die Republik ziehen konnte. Wie wurden die Feindbilder weitergegeben? Wer hat sie aufrecht erhalten? War das nur ein kleiner Teil der Bevölkerung oder wurden nationalistische Gesinnungen quer durch alle Bevölkerungsschichten bewußt oder bewußtlos weiter gepflegt?

Unermüdlich stemmte sich doch ein Großteil der Bevölkerung, vor allem nach der Wende und den Vorfällen in Rostock Lichtenhagen, gegen seine hässliche Vergangenheit und diskutierte in unterschiedlichen Rahmen über die Zukunftsperspektiven der scheinbar losen ostdeutschen Landstriche und versuchte neue Rituale des Gedenkens zu installieren und Aufklärungsarbeit zu leisten, wo sie im Schulunterricht der DDR häufig als zu selbstverständlich daherkam.

Die Installation der NPD in den Zonengebieten geschah natürlich auch nicht von ungefähr, da genauso wie Unternehmer oder die großen Parteien SPD und CDU natürlich auch die NPD in den Osten fuhr und für sich zu werben begann. Die Forschungen und Studien dazu sind zahlreich. Aber die NPD allein bildet nicht das ab, was an Ressentiments in der Bevölkerung weiterhin schwelt und schwelen wird. Die Verantwortliche für neue große Wellen der Entrüstung ist die Angst. Eine Angst, die von Thilo Sarrazin geschürt wird, von der Bankenkrise getragen wird, welche Austerität statt Austern fordert und die einen greifbaren und altbekannten Verursacher sucht. Es sind die Anderen, das Andere, das Merkwürdige, das Homosexuelle, das Sinnlose, Überflüssige, Hedonistische, das Sündige - das, was meinen Alltag durcheinander bringt, den ich mir mühselig und ordentlich eingerichtet habe, damit mich das System in Ruhe lässt, damit ich hier verdammt noch mal nicht untergehe und klarkomme. Verdammt noch mal!

Rostock existiert auch in Berlin Berliner Bierfest: Hohe Dichte an Londsdale, Consdaple und Thor Steinar Shirts über dicke Mahlsdorfer Bäuche oder Muskeloberarme gespannt. noch. Da mache sich mal keiner was vor. Und es ist das Berlin dieser Tage, nicht jener vergangenen Tage, wo Vietnamesen in Marzahn "abgestochen" wurden wie Vieh aus der Massentierhaltung, weil wegen "Scheiß Fidschis und so" und haste nicht gesehen.

Wer in diesen Tagen anfängt, auch nur irgendwie und weiß der Fuchs wozu, Angst zu schüren, dem kann nur eins geraten werden: Entspann dich verdammt noch mal, dreh auf, tanz dich halbtot, nimm Drogen, schrei es raus, engagiere dich (egal ob sinnlos oder nicht) und dann reden wir weiter.




»Unermüdlich…«

Nein: »Vorgeblich«.

»…stemmte sich doch ein Großteil der Bevölkerung…«

Nein: »zu Wenige«.

»…vor allem nach der Wende und den Vorfällen in Rostock Lichtenhagen, gegen seine hässliche Vergangenheit…«

Nein. Man versuchte argumentationsähnliche Formen zu finden, die erklären sollten, weshalb dieses und jenes Einzelfälle seien, die mit einem selbst nichts zu tun haben. Es sind nämlich immer »die Anderen«, die gesellschaftlich Benachteiligten, Isolierten, Verdrehten, Bemackten. Davon lebt Faschismus: Er ist ein perfekter Parasit, den der Wirt nur bei anderen Wirten "erkennt", nur niemals bei sich selbst.

»…und diskutierte in unterschiedlichen Rahmen über die Zukunftsperspektiven der scheinbar losen ostdeutschen Landstriche«

Nein. Man versuchte als ostdeutscher Landstrich mit dem Hintern, nicht aber den Rücken an die Wand zu kommen, koste es was es wolle. Streichungen von Fördermitteln bei Präventionsprojekten gegen Rechts sind Realität, das Relativieren oder Verniedlichen rechter Gewalt ebenso, und zwar nicht nur in der Legislative, sondern auch im common sense des "Volkes".

»…und versuchte neue Rituale des Gedenkens zu installieren und Aufklärungsarbeit zu leisten, wo sie im Schulunterricht der DDR häufig als zu selbstverständlich daherkam.«

Niemand wird gerne belehrt. Deshalb schlug das alles fehl, denn es sollte einer Gesellschaft von außen her nahe gebracht werden – doch sollte es nicht aus der Gesellschaft selbst heraus wachsen?

Der Rest des Postings ist voll zu unterschreiben.

Da habe ich gestern eine kurze gute Umschreibung der Misere gelesen, dass rechte Gewalt und rechtes Gedankengut mit Rebellion verwechselt wird und wurde. Umgangssprachlich: Der kriegt sich schon wieder ein - das ist nur so eine Phase. Eine gesellschaftlich akzeptierte Rebellion ist natürlich bei weitem keine Rebellion, wenn man das näher beleuchtet.

Deine Argumentation läuft darauf hinaus, dass dies vor allem ein Gemeinschaftsproblem sei und Abschottung integraler Bestandteil des Funktionierens einer kleinen Gemeinschaft. Warum aber funktioniert rechtes Gedankengut in Großstädten genauso gut wie auf dem Land?

Ich bin kein Soziologe, aber meine Vermutung geht in die Richtung, dass Abschottung integraler Bestandteil des Funktionierens jeder Gemeinschaft ist. Die Frage ist nur: Wie geht man mit öffnenden Impulsen um? »Warum funktioniert rechtes Gedankengut in Großstädten genauso gut wie auf dem Land?« – Weil der Einzelne glaubt, dass es ihm langfristig nützt. Und weil es soooo gut tut, nicht mehr das letzte Glied in der Kette sein zu müssen, also noch jemanden unter sich zu wissen. Wir hatten dies hier (Leipzig) mal "vor Kurzem" → http://www.flohbu.de/blog/reudnitzer-montagsdemos Geändert hat sich seit dem nichts. Leider.

Was Flohbude sagt.

Hinzu kommt, daß die Massenmedien (bis auf das Internet, aber das war damals kein Massenmedium) seit 1990 westdeutsch geprägt sind und so eine Debatte der Ost-Gesellschaft über das Problem schwerlich stattfinden konnte. Die wenigen Versuche der Beschäftigung mit dem Thema in den (West-)Medien hatten dann notgedrungen den Hauch der Belehrung.

Das ist ein guter Punkt. Eine öffentliche Debatte fand wenn dann nur punktuell statt - also durch einige wenige ost-sozialisierte Journalisten oder dann eben doch nur in den kleineren Rahmen der Antifa. Daher rühren wohl auch viele Missverständnisse, wie die Aufmachung einer strengen Dichotomie zwischen Antifas und Nazis. So war das Thema eben auch gut abgeschoben.