Samstag, 26. November 2011
Ich bin da raus, seit vier Jahren raus und merke nicht mehr viel davon. Ungewöhnliche anonyme Anrufe irritieren mich zwar noch immer und nächtliches Geklingle hat zuweilen immer noch den Effekt, dass ich für einige Stunden aufgwühlt bin, aber - ich bin raus.

Stalking hat bei mir massive körperliche Schäden hinterlassen, von dramatischem Übergewicht bis zu dramatischem Bluthochdruck. Ich neige manchmal immer noch dazu, unwillentlich aggressiv zu werden, Situationen im zwischenmenschlichen Bereich falsch einzuschätzen oder mir selbst zu schaden. Nicht grundsätzlich, aber zu häufig unwissentlich.

Und man merkt es immer zu spät.

Ich habe meinen Stalker nicht im Internet kennengelernt, sondern draußen in der freien Wildbahn. Aber in ihren Verhaltensweisen unterscheiden sie sich kaum, die Cyberstalker, wie die Echtzeitstalker. Als Betroffene mag man später auch kaum die Ursachen für ihr Verhalten wissen wollen, denn sie sind das Böse. Aber es gibt für Stalker durchaus auch Anlaufmöglichkeiten, sich mit sich selbst und ihrer Qual auseinanderzusetzen und sie sind nicht nur männlich.

Care about your lifetime.

Es ist niemals zu spät.



Mittwoch, 2. November 2011
Ich bin nicht besessen, habe keinen Plan, erwachte das Licht der Welt in der Wiege der Menschheit und begann mit den besten Voraussetzungen mein Leben, welches sporadisch von einer Kinderkrankenschwester und einem Physiker überwacht wurde; die deeper Familienkonstellation war spürbar, aber nicht erfragbar. Ich bin eine Gamerin, eine Playerin - naturbegabtes kunstloses Genie im Erdenken von allem und jedem.

Wir spielten die Wilde 13 in der Hausnummer 13 irgendwo in der Pampa in Marzahn, einem halbfertigen Bezirk, der im Grunde genommen nur aus Matsch bestand. Aus Matsch, Bäumen, Wiesen, Pfützen und unverbautem Stahlbeton, in dessen Ritzen, Lücken und Höhlen wir Geschichten zu erzählen begannen, mit unseren 6 Jahren.

Von der Schuttkippe bargen wir später Grabsteine und schleppten sie in geheime Knutsch - und Fummelkeller. Aber bitte so früh wie möglich. Langeweile macht sich breit zwischen Seerosentapeten und Mercedessternen, Klavierstunden und Bandgründungen.

Und das ist genauso langweilig, wie es alle Biographien sind, wie sie alle nichtssagend sind. Die Essenz ist der Moment, in dem du agierst. Schaust, handelst und entscheidest. Deine Stimme und dein Handeln Gewicht bekommen, jenseits von Eitelkeiten und Neurosen, sondern in der puren Selbstbehauptung. Mit blutigen Fingern vom Grabsteinschleppen, den blauen Flecken vom dazwischen Gehen in Prügelleien, dem blauen Samt auf der Zunge vom unendlichen Reden. Dem unermüdlichen Reden.

Spiel ein wenig mit mir und ich verrate dir die Idee.

(No, I am not depressed)



Donnerstag, 29. September 2011
Der Wiedereröffnung dieses Blogs ging ein Gedanke voraus, ein recht starker Gedanke aus dem 20. Jahrhundert - dem der Haltung. Hinzu kam dann später noch die Generationenfrage mit versteckter Anspielung auf die Zonenfrage, sowie der Feminismus. Die Kombination dieser vier Themen kulminierte für mich mit dem Besuch der Lesung von Alice Schwarzers Autobiographie, welche hier besprochen wurde und ich kann der Autorin vollumempfänglich zustimmen - mein Eindruck war ein ähnlicher. Wobei ich sehr froh war, dass in dieser recht intimen Situation, die ein Theaterraum in der Lage ist zu erzeugen, die laute, spitzzüngige und pointensichere Alice Schwarzer der Fernsehstudios nicht anwesend war, sondern eine gestandene Frau, die selbstbewusst und mit der Versiertheit einer guten Journalistin ihr Buch promotete, so dass es sehr angenehm war.

Ich bin weder mit Alice Schwarzer aufgewachsen, noch lag sie in den Betten meiner Eltern, aber ich konnte einen direkten Vergleich zu meiner Tante ziehen, die zwar etwas jünger ist, sich aber als Radiojournalistin Ende der 60er Jahre in der DDR auch ihren Weg bahnte. Und mir geht es nicht um ein typisches DDR - Frauenbild, sondern darum, wie man sich als Journalistin und Frau in der Berufswelt versuchte zu definieren, denn darum geht es auch zu großen Teilen in Alice Schwarzers Biographie. Die Kämpfe waren da durchaus sehr verschieden. Während meine Tante Probleme mit dem System bekam, konnte sich Alice Schwarzer ihrer Meinungsfreiheit sicher sein. Sicher insofern, dass sie keine staatlichen Repressionen fürchten musste, was aber natürlich nicht heißt - sie hätte es einfach gehabt. Alice Schwarzer näherte sich Alice Schwarzer an und sie erzählte und las von den Hasstiraden, die ihr teilweise entgegen geschlagen sind, von den Bemühungen, eine starke Persönlichkeit zu werden, engagiert und nicht zimperlich. Irgendwann kam ich an den Punkt, wo mir etwas missfiel - ich kann nicht genau sagen, was es war, ob es ihre thematische Fixiertheit auf bestimmte Punkte war, die ich als lächerlich empfand, während sie andere Themen großzügig wegwitzelte, die ich besprechungswürdig gefunden hätte oder ihre merkwürdige Naivität, die manchmal durchschimmerte. Eine Kombination aus allem, vermutlich.

Es ist immer so ein wenig mit den lauten Stimmen, dass diese häufig Glück gehabt hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein, um mit einer plötzlich interessanten anderen Haltung, bestimmter Kleidungswahl und professioneller Kommunikation einer Bewegung eine Stimme zu verleihen und zudem häufig auch von der Bewegung selbst stark kritisiert werden, sei es aus Gründen des nicht Gönnen Könnens oder aus inhaltlichen Gründen. Aber die Bewegung selbst sind sie nicht und jede einzelne weibliche Biographie ihrer Generation wird ihr sagen können: Alice, ich bin nicht wie du, aber du hast mich geprägt. Ob nun indirekt oder direkt.