Sonntag, 18. Mai 2014
Neulich habe ich diesen Zettel gefunden, auf dem ich einen Traum aufgeschrieben hatte, irgendwann dieses Jahr im Winter. Es klang alles so wunderschön und entsprach damit überhaupt nicht meiner derzeitigen Situation, bis ich etwas genauer zu überlegen begann. Vor zwei Jahren war ich wirklich verzweifelt gewesen. Es stimmte nämlich von vorne bis hinten nichts. Und so begann ich Stück für Stück mein Leben aufzuräumen. Jetzt stehen in dieser Wohnung regelmäßig frische Blumen und ich schlafe gut durch. Was ich mir noch wünsche, ist das Sommerfeuerwerk samt Lillet natürlich. Bis dahin werde ich in den großartigen Bahnen, die sich mir kürzlich eröffnet haben, schwimmen und jeden Moment genießen.



Montag, 19. August 2013
Den Garten gibt es schon seit den 50er Jahren. Er ist ein Relikt der Vertreibung und man wird ihrer heutzutage immer noch gewahr, wenn man versucht, abends ins Netz zu kommen, da es ansonsten nur eine analoge Telefonleitung gibt. Da wechseln die tschechischen und deutschen Anbieter alle Minuten, so als könnten sie sich nicht entscheiden. Schlussendlich hat man meistens kein Netz, was auch besser der Bestimmung des Ortes entspricht. Abgelegen und auf einem Berg. So wollte es mein Großvater. Es ist ein winziges Dorf, was niemand kennt. Alle halbe Stunde fährt ein Automobil durch und das war es schon. Weswegen man ein Automobil besitzen muss, um sich dort versorgen zu können oder sehr festes Schuhwerk und Ausdauer. Die Buslinien halten außerhalb des Dorfes in einem anderen Dorf und fahren zwei Mal am Tag. Mein halbes Leben hat sich dort abgespielt. Ich habe dort Ski fahren gelernt mit fünf Jahren und gelernt mich in scheinbar unübersichtlichen Wäldern zurechtzufinden. In den Bücherregalen standen jahrzehntelang die Schauermärchen der 20er und 30er Jahre. Als die Enkel begannen Geisteswissenschaften zu studieren, lichteten sich die Regale. Ich konnte immerhin den "Untergang des Abendlandes" sowie einige Goethe-Ausgaben abstauben. Der Garten ist mein geheimes Gefühlsressort, aber auch Erinnerungsort für Wochen mit Freunden. Dort stapelt sich sehenden Auges Geschichte. An diesem Wochenende kam wieder neue hinzu.



Mittwoch, 3. Juli 2013
Ich habe mit dem Spione-Thema mehr oder weniger innerlich abgeschlossen. Es liegt noch einiges auf Halde. Aber letzten Endes sind das alles Geschichten, die sich auch außerhalb des Spionagekontextes erzählen lassen könnten. Ich habe zu Ende recherchiert. Das, was ich wissen wollte, endgültig wissen wollte, habe ich schwarz auf weiß in einem Buch gefunden. Die Fakten fügen sich gut in die Erzählungen meiner Großmutter ein und sind das graue Fundament aller weiteren Erzählungen. Eigenartig ist, dass nach all diesen geschäftstüchtigen Männern und Frauen in der Familie, die Nachkommen entweder Wein angebaut, geforscht und erforscht oder andere normale Tätigkeiten aufgenommen haben. Keine ausufernden Gartenbaupläne, keine Gutspacht, keine Spionagegeschäfte und keine eigene Klinik mehr. Der Krieg hat diese Familie verstört und einer aus ihren Reihen hat ihn befördert. Den Krieg. Ich möchte nicht verstört sein, sondern damit abschließen.



Montag, 18. Juni 2012
Manchmal funktioniert das ja, sich ein wenig die Zukunft heranzuschreiben, aber ich werde blasser und blasser. Befürchtungen hängen in allen Winkeln, wie neue Spinnweben. Die obligatorischen Jahresträume der letzten zwei Nächte haben mich aber quasi weggeknallt. Es gab ein unglaubliches Durcheinander, andauernde Virilität und es blieb jemand. Die Inhalte waren so verschroben, wie mein derzeitiges Dasein. Und so schob ich die Träume leichtfertig heute morgen beiseite, dass ich jetzt um so mehr glauben muss, dass da was Wahres dran sein könnte. Auf Schatten folgt Licht. Oder ein Irrlicht.



Sonntag, 6. Mai 2012
Ich gewöhne mich jedes Mal neu daran, an jede neue Phase. Man ist eben ein halbes Jahr krank geschrieben oder trauert ein halbes Jahr lang einer verflossenen Liebe hinterher. Nicht weltbewegend, würde man nicht in einer Stadt leben, die sich halbjährlich versucht neu zu erfinden. Halbjährlich aufwachen, um zu schauen, was nun schon wieder neu ist. Die Phase, in der ich mich momentan befinde, ist nicht großartig unglücklich oder dramatisch, nach meinem Empfinden. Andere würden das bestimmt anders sehen, vielleicht. Aber ein großer Sprung ist sie nun auch nicht. In Zahlen: Ich bin seit einem halben Jahr nicht mehr ernsthaft krank gewesen und habe das auch nie wieder vor. Aber die Chancenlosigkeit der letzten Jahre, sich selbst für längere Zeit von Berlin zu beurlauben, nagt doch immer noch sehr, sehr ernsthaft an mir. Dem abzuhelfen, als gelebter Traum, ja Traum, stände nicht einmal ein runder Familiengründungswunsch gegenüber. Eher ein unrunder. Es gilt nur abzuwägen, wozu ich gesundheitlich in der Lage wäre und welcher Stein jetzt passen würde, damit der Turm der letzten sechs Monate nicht umfällt. Und natürlich: Was klappt. Vielleicht. Bald.

Wenn ich mir Glück und Gesundheit wünsche, dann spreche ich von eurem: Ich habe ein zufriedenes und schönes Leben.



Donnerstag, 8. Dezember 2011
15
Januar (ursprüngliche Veröffentlichung auf diesem Blog 2007, geschrieben 2003)


Sommer 02/03

Wedding. Wir ziehen in den Wedding, rief ich in den Telefonhörer und meine Mutter erwiderte erstaunt: "Ah. Das wirst du jetzt also tun."

Er sagte ständig zu mir: "Ich will in den Wedding ziehen." Ich glaube, er vermisste London.

Niemand beneidete uns darum, aber wir zogen einfach um und zusammen. Ich aus dem Friedrichshain und er aus Mitte in eine neue große von Sonne und Leichtigkeit überschwemmte Wohnung in den Wedding.

"Wedding.", sagte er und ich sprach es aus:"Wedding halt."

Am ersten Abend bestellte ich uns chinesisches Essen und rief wiederholend in den Telefonhörer: "Ja mit Pilzen und Ente kross." Er äffte mich nach und tänzelte vor Freude über die frisch abgezogenen Dielen. Die Wohnung lag direkt unter dem Dach und wir waren von allem so fern, aber genauso nah beieinander.
Das war im August gewesen und im September packte ich endlich die ersten Kisten aus. Ich hörte Nancy Sinatra – Good Time Girl und fühlte mich weit davon entfernt. Er stand in meinem Türrahmen und fragte mich: "Was ist los?"

Ich spürte, dass er mich nicht verstehen würde. Es war sinnlos. Ich musste verreisen und er hielt sich rücksichtsvoll zurück. Dabei hatten wir geplant, gemeinsam wegzufahren.

In Marseille nahm ich mir für eine Nacht ein Hotelzimmer und starrte in den Fernseher, dessen Bild so dunkel war, dass ich gar nichts erkennen konnte. Ich stand auf und beschloss essen zu gehen. Die Luft am alten Hafen war Anfang Oktober immer noch warm und die Cafés waren gefüllt. Ich ging in eines dieser Plastikplanenrestaurants und bestellte Meeresfrüchte und Wein. Wirklich getraut hatte ich mich nur, weil hier vereinzelt Gäste saßen, die ebenfalls alleine gekommen waren und gelassen aßen.

Die Kellner brachten mir auf Eis aufgetürmte Berge von toten Meerestieren – Muscheln, Krabben, Hummer, Austern und Schnecken. Ich aß langsam und trank in regelmäßigen Abständen dazu kalten Wein. Es war umständlich und ein Kellner zeigte mir, wie ich aus einem Schneckengehäuse das Fleisch herausziehen konnte. Am Nebentisch saß ein Paar und ich malte gedanklich ein Bild der Marseillaise. Sie hatte einen riesigen Kopf und darum herum einen enormen Turban von grauen Haaren gewunden. Ihr Blick war etwas überheblich und selbstgewiss. Während sie redete, malte sie Luftlöcher mit ihrem gespitzten Mund und nippte hin und wieder am Rosé. Ihre festen, aber auch faltigen Hände lagen von Ringen beschwert auf den Tischkanten. Ihr Begleiter, ihr gegenüber sitzend, verschwand hinter ihrer Erscheinung. Die Kellner gossen uns nach. Ich überlegte und kam zu dem Schluss, dass ich es tun sollte und dann ging alles blitzschnell. Ich kniete vor der Marseillaise und hielt meinen Photoapparat dicht an ihr Gesicht und drückte ab. Sie kreischte aufgebracht: "No Photo, no Photo."

Ihr gesamter massiger Körper und die Tücher um ihren Hals bebten. Ich setzte mich gelassen zurück auf meinen Stuhl und ein Kellner beruhigte sie, mich seitlich augenzwinkernd angrinsend, dass ich eine Touristin sei. Was nicht nötig gewesen wäre. Der Kellner stand geschlagene zehn Minuten neben meinem Tisch und summte eine Sommermelodie aus dem vergangenen Jahr.

Im Hotel fragte mich der Portier, ob ich noch etwas mit ihm gemeinsam trinken wolle. Ich lehnte ab und irrte durch Marseille und blieb unentschlossen vor einer Bar mit einer Regenbogenfahne stehen. Ging schlussendlich hinein und trank, Musik aus den vergangenen Sommern hörend, mich selbst unter den Tisch und ging danach schlafen.

Er empfing mich mit den Worten: "Du siehst aus wie eine Spanierin."

...


Weiße Tage. Ich hatte ihn verloren.


...


Als er weg war, blieb die Wohnung hier im Wedding.
Er wollte photographieren, das Gesicht von Europa porträtieren und mich vergessen.

Zerrissen, dachte ich. Wenn er lachte, weil ich ihn zum Lachen bringen konnte und kleine Geschenke in seinen Taschen versteckte. Ehrlich, dachte ich. Seine Augenbrauen mit drei Fingern glatt strich und die Küsse am Morgen mit dem lächelnden Gesicht.

Am letzten Morgen träumte ich nicht mehr und nahm seine Hand, seinen Arm und hielt ihn fest und ließ seine Haare durch meine Finger rieseln. Ich wollte nie mehr. Mehr.



Mittwoch, 2. November 2011
Ich bin nicht besessen, habe keinen Plan, erwachte das Licht der Welt in der Wiege der Menschheit und begann mit den besten Voraussetzungen mein Leben, welches sporadisch von einer Kinderkrankenschwester und einem Physiker überwacht wurde; die deeper Familienkonstellation war spürbar, aber nicht erfragbar. Ich bin eine Gamerin, eine Playerin - naturbegabtes kunstloses Genie im Erdenken von allem und jedem.

Wir spielten die Wilde 13 in der Hausnummer 13 irgendwo in der Pampa in Marzahn, einem halbfertigen Bezirk, der im Grunde genommen nur aus Matsch bestand. Aus Matsch, Bäumen, Wiesen, Pfützen und unverbautem Stahlbeton, in dessen Ritzen, Lücken und Höhlen wir Geschichten zu erzählen begannen, mit unseren 6 Jahren.

Von der Schuttkippe bargen wir später Grabsteine und schleppten sie in geheime Knutsch - und Fummelkeller. Aber bitte so früh wie möglich. Langeweile macht sich breit zwischen Seerosentapeten und Mercedessternen, Klavierstunden und Bandgründungen.

Und das ist genauso langweilig, wie es alle Biographien sind, wie sie alle nichtssagend sind. Die Essenz ist der Moment, in dem du agierst. Schaust, handelst und entscheidest. Deine Stimme und dein Handeln Gewicht bekommen, jenseits von Eitelkeiten und Neurosen, sondern in der puren Selbstbehauptung. Mit blutigen Fingern vom Grabsteinschleppen, den blauen Flecken vom dazwischen Gehen in Prügelleien, dem blauen Samt auf der Zunge vom unendlichen Reden. Dem unermüdlichen Reden.

Spiel ein wenig mit mir und ich verrate dir die Idee.

(No, I am not depressed)



Dienstag, 13. September 2011
Seit 29 Jahren ist diese Stadt meine Heimat und ich kenne jeden einzelnen verborgenen Winkel und jeden Elektrokasten, an den ich meine Liebesschwüre gesprüht habe, vor allem die in Marzahn. In der Sonne dösen die Alkoholiker auf ranzigen Parkbänken und wenn man den Kopf nicht allzu oft in den Nacken legt, versperrt einem ständig irgendwelches Grün die Sicht. Der drittgrünste Bezirk von Berlin, merken sie sich das, höre ich meinen Geschichtslehrer raunen und puff ist er wieder verschwunden und ich laufe in gleißendem Sonnenlicht über einen menschenleeren Parkplatz vor dem Rewe, eine Situation, die sämtliche Filme über amerikanische Vorstädte um Zillarden toppt, vor allem als ein dickes schwarzes Kind schlendernd die Szenerie betritt, seinen Ranzen geschultert und ich ihm, Mazzy Star hörend, bis vor seine Wohnungstür folge, wo schon der ebenfalls übergewichtige Bruder über dem Balkon hängt, Parterre und die beiden sich schwermütige Blicke zuwerfen. Kulleraugen und kullerbunt sind die Balkone, Farbkleckse und Wintergärten und Grün, viel Grün. Es kommt mir alles kleiner vor, aber trotz allem genauso gähnend trostlos, wie in meiner Jugend. Vielleicht war das grau ein Stück weit ehrlicher und die quietschbunten Farbergüsse sind nur ein Wink aus dem Ikea-Kinderparadies.

Meine ehemalige POS, es ist satter Nachmittag und grün wieder, überall grün. Ich finde den Ort, wo ich zum ersten mal einem Jungen einen Handjob gegeben habe und unweit davon entfernt sitzt eine Rentnerin auf einer Parkbank, auf einer Decke, neben ihr ein schlummernder Mops und ich lege mich ebenfalls auf eine Bank, träume so vor mich hin und Mutter plätschert weiter in meinen Ohren mit "Für Stunden".

Mit jedem Schritt eine andere Erinnerung, gedämpft durch das Sonnenlicht und die zahlreichen, aber recht leeren Spielplätze lasse ich links liegen. Schnuppern in den Hausaufgängen und ein hässliches "Ahja", die wohnen immer noch hier. Jeder Schritt eine Erinnerung, die Arme ausgebreitet und jede Sekunde verdampft, wird eingeatmet und zerrührt zu einem klebrigen zuckersüßem Kuchenteig. Ab in den Ofen damit und wieder nach Hause. Was wollte ich noch einmal hier? Ahja, jemanden vergessen.



Samstag, 13. August 2011
Beim recht frühen Aufwachen heute sortierte sich die gesamte Welt mit einem mal. Logische Konsequenzen aus allen 'what ifs' und das 'was wäre wenn' lagen vor mir, genau vor meinen Füßen. Es ist genauso gekommen, wie es kommen sollte. Eine furchtbare Erleichterung macht sich breit nach diesen zwei Jahren und dem ewigen auf und ab und on und off. Dem Internet einschalten und es ausschalten und alles draußen lassen. Stundenlange Spaziergänge, Gespräche und sogar Sport dieses Jahr. Ich habe die Anfänge dieses Jahr nicht versemmelt und war bei allem gewillt es durchzuziehen, die Enden, wie die Anfänge. Einige Brüche kamen von außen und ich bin immer noch mittendrin. Mittendrin in etwas sehr lieblichem. So lange wie ich mag. Gut so.



Samstag, 25. Juni 2011
Sie sollten sich nicht wundern, warum diese Adresse wieder aktiv ist. Ich habe sie mir einfach wieder angeeignet, nachdem jemand versucht hatte, darüber kommerzielle styletipps zu geben. Mein anderes Blog möchte ich schlafen lassen. Nicht - es ruhe in Frieden - eher ein komatöser Zustand.

Das ist jetzt schon mein heutiger dritter Anlauf. Zuerst habe ich in einem Café gesessen und über eine Stunde lang versucht, meine Gedanken zu ordnen, bis mir die Hand weh tat und das Geschriebene in etwa den Gehalt einer vierzehnjährigen aufwies.

Ich war einfach nur kurz weggefahren und zu tief gefallen. Ganz kurz. Es ist ja alles nicht schlimm, aber mit dem Ende des Ausflugs habe ich mich von jemandem verabschiedet.

Im Prinzip haben die letzten drei Monate mein Leben komplett auf den Kopf gestellt, die Details sind da letzten Endes unwichtig. Aber die, die ich jetzt bin, die gab es noch nie zuvor und die meisten schauen mich ungläubig an. Sie suchen alle nach dem Stück Vergangenheit, dem Beweis, dass ich die sein müsste, die sie vor einem halben Jahr kannten oder eben vor ein, zwei, drei Monaten.

Ich habe mich verabschiedet. Von ihr, von mir, von vielen Menschen. Und ich wusste nicht, dass es so einfach sein würde. Man kann sagen, dass Alison Moyet mit Größe 34 irgendwie unwirklich aussieht und ihr die Traurigkeit besser stünde.

Das ist es eben. Mir geht es gut und es ist so, wie es jetzt ist mit am größsten. Selbst ohne Größe 34. Aber ich bin glücklich.

Und das irritiert.